Von der Taz

München taz | Bevor er den Anwälten von Hanna S. das Wort für ihr Plädoyer erteilt, will der Vorsitzende Richter Philipp Stoll selbst noch etwas loswerden. Er richtet sich allerdings nicht an die Anwälte, auch nicht an Hanna S. – sondern an die Zuschauer. Ausdrücklich weist er sie darauf hin, dass jegliche Äußerungen aus ihren Reihen zu unterlassen seien, insbesondere Beifall oder Missbilligung. Andernfalls drohe Ordnungsgeld bis zu 1.000 Euro oder Ordnungshaft.

In der Tat sind die Zuschauerbänke wieder dicht besetzt – und das, obwohl der Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA Stadelheim so vielen Zuschauern Platz bietet wie kein anderer Gerichtssaal in München. Seit Prozessauftakt pilgerten zu jedem Termin des Verfahrens zahlreiche Unterstützer von Hanna S. Die Botschaft: Du bist nicht allein. Mitunter wurde diese Botschaft auch lautstark kundgetan, was in einem deutschen Gericht natürlich nicht geht.

Dann also hat die Verteidigung das Wort, muss dem etwas entgegensetzen, was die Bundesanwaltschaft hier vor einer Woche gefordert hat. Und das war nicht wenig: Eine Freiheitsstrafe von neun Jahren beantragte sie für Hanna S. In ihren Augen steht es fest, dass die 30-jährige Kommunikationsdesignerin und Schreinerin eine Linksextremistin ist, die sich des versuchten Mordes, der gefährlichen Körperverletzung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht hat.

Anwalt: Anklage will Antifa dämonisieren

Der zentrale Vorwurf: Im Februar 2023, beim sogenannten Tag der Ehre in Budapest, soll Hanna S. mit anderen Mitgliedern der linksextremen Szene Menschen brutal zusammengeschlagen haben, die sie für Neonazis hielten. Hanna S. soll dabei unter anderem auf dem Arm eines zu Boden gegangenen Opfers gekniet haben, um ihn daran zu hindern, sich gegen die Schläge und Tritte der anderen zu wehren. Den Mann hätten sie attackiert, weil er „ein politisch Andersdenkender“ gewesen sei. Beim „Tag der Ehre“ kommen Rechtsextreme aus ganz Europa in der ungarischen Hauptstadt zusammen, um des Ausbruchsversuchs von Wehrmacht, Waffen-SS und ihren Kollaborateuren aus der von der Sowjetarmee belagerten Stadt zu gedenken.

Verteidiger Peer Stolle nutzt die Gelegenheit zunächst für eine Apologie der Antifa im Allgemeinen. Die Anklage und die Strafforderung der Generalbundesanwaltschaft zielten darauf ab, antifaschistische Aktionen insgesamt zu dämonisieren – als Menschen, die den Tod des politischen Gegners in Kauf nehmen würden. Aber dann müsse es doch Hinweise auf eine Strategie von Antifa-Gruppen geben, die Tote mit einpreise, sagt Stolle und fragt: „Wann und wo wurden Neonazis von Antifaschisten getötet?“ Tötungshandlungen durch Rechtsextremisten fänden sich viele. Andersherum jedoch: Fehlanzeige. „Das ist die Realität“.

Der Gewaltfetisch sei konstitutiv für die extreme Rechte. Die zugrundeliegenden Ideologien von Rechts- und Linksextremen unterschieden sich diametral. Er selbst sei in Ostdeutschland groß geworden, in den „Baseballschlägerjahre“. Damals seien viele froh gewesen, dass es Menschen gegeben habe, die den Mut hatten, sich den Neonazis entgegenzustellen. „Sie dagegen zu wehren sollte Aufgabe aller sein.“

Kein Nachweis einer Beteiligung

Im Fall ihrer Mandantin fahren Stolle und sein Kollege Yunus Ziyal in ihrer Verteidigung dann zweigleisig: Es gebe überhaupt keinen Nachweis, dass die Person, die die Generalbundesanwaltschaft auf Bildern und Videos von den Vorfällen in Budapest als Hanna S. ausgemacht hat, auch tatsächlich diese sei. Für den Fall, dass sie es doch sei, argumentieren die beiden, dass man ihr allenfalls gefährliche Körperverletzung zur Last legen könne, keinesfalls aber versuchten Mord oder Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Zunächst aber, argumentiert Stolle, habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass Hanna S. an den Taten beteiligt gewesen sei. Weder hätten Fingerabdrücke oder DNA-Spuren darauf hingewiesen, noch habe es Hinweise auf eine Anreise ihrer Mandantin nach Budapest oder eine Beteiligung an Vorbereitung hierfür gegeben. Im Gegenteil: Ein Kontoauszug habe gezeigt, dass Hanna S. noch am 8. Februar, als andere schon nach Budapest gereist waren, noch in Nürnberg Geld abgehoben habe. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass Hanna S. und andere der Tat Beschuldigten sich gekannt hätten.

Auch die Aussagen sogenannter Super-Recognizer, die Hanna S. auf Bild- und Videomaterial aus Budapest identifizieren sollten, seien nicht klar genug gewesen, um als Beweismittel herangezogen werden zu können. Gegen eine Täterschaft ihrer Mandantin spreche beispielsweise auch, dass sich Hanna S. – anders als andere Beschuldigte – nicht dem Verfahren entzogen habe, sondern in ihrer Wohnung in Nürnberg anzutreffen gewesen sei.

Hanna S. schweigt

Für ihre Verteidiger ist daher klar: Hanna S. ist freizusprechen und für die erlittene Untersuchungshaft von rund anderthalb Jahren zu entschädigen.

Anwalt Ziyal spricht von einer Überinszenierung und einer überzogenen Strafforderung auf Seiten der Generalbundesanwaltschaft. Allenfalls könnten die Taten, derer Hanna S. beschuldigt wird, als gefährliche Körperverletzung gewertet werden. Dafür stünden Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis 10 Jahren. Letzteres aber nur in schwersten Fällen. Hier habe es aber gar keine schweren Verletzungen gegeben, auch keinen Hinweis darauf, dass diese geplant gewesen sein. Im Gegenteil: Schon nach kurzer Zeit sei der Angriff auf ein verabredetes Signal hin abgebrochen worden. Für vergleichbare Taten hätten Gericht sonst höchsten Strafen von zwei bis zweieinhalb Jahren verhängt.

Das letzte Wort hat die Angeklagte. Nein, sie wolle nichts sagen, sagt Hanna S. Und dann lässt sie den Kopf auf den Tisch fallen. Und dann, als die Richter den Saal bereits verlassen haben, brandet er doch noch auf, der Applaus.

Die Urteilsverkündung ist für den 26. September angesetzt.